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ANTI-MAINSTREAM

Constant Kpao Sare

Autor*in

Tschinku im Gastland

Meine Heimat - Deine Heimat

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Kann ein zugewanderter Afrikaner Deutschland seine Heimat nennen? Tschinku und Barka, zwei ehemalige Schulfreunde aus Afrika, haben in Deutschland studiert. Tschinku bleibt in Deutschland und gründet eine Familie. Barka kehrt zurück nach Afrika, gründet auch eine Familie und wird später... Weiterlesen

Leseprobe von Tschinku im Gastland

Es folgt ein erster Eindruck in das Buch Tschinku im Gastland von Constant Kpao Sare.

Es gibt mindestens zwei Personen, denen das Wort nicht genommen werden kann. Zwei Personen, mit denen nicht diskutiert werden darf, zdie man nicht zu bekehren versuchen sollte. Mindestens zwei Personen, denen nicht widersprochen werden darf. Es gibt im Leben mehr als zwei Arten von Menschen, denen man zuerst nur aufmerksam zuhören müsste, bis sie alles gesagt haben. Bis sie den Mund zugemacht haben, bis sie einen nach etwas fragen und bis sie schweigen und einen ansehen und demutsvoll beobachten. Als ob sie von einem das „nicht schuldig“ des Richters oder ein „mein Sohn, deine Schuld wird dir vergeben“ des Priesters erwarten.

Es gibt den Verräter, der unter allen Umständen kurzen Prozess macht. Den schuldbewussten, reumütigen Brandstifter, der sich endlich entscheidet, hemmungslos zu reden. Den Übeltäter, der über alles sprechen will, über die kaum denkbare, erbarmungslose, barbarische, grausame und brisante Wahrheit. Über die härteren Maßnahmen, durch welche er die Weltordnung gemein zerstört hatte. Die Brutalität, mit der er unschuldige Menschen rücksichtslos und hartherzig gefoltert hatte. Die getöteten Kinder, Frauen und Schwerbehinderte. Über ruinierte Leben. Von dieser Person wird in der nachkommenden Erzählung gewiss nicht die Rede sein.

Es gibt den durch soziale Ungerechtigkeit erbitterten Menschen. Den Menschen, der eine unsinnige und absurde Realität jahrzehntelang kraftlos, machtlos und wehrlos erlebt hatte. Den Menschen, der sein eigenes Leben allmählich und graduell in eine labyrinthische, verwirrende, dunkle und geheimnisvolle verdammte Höhle herunterstürzen sah – ohne reagieren zu können, ohne es zu wagen, irgendetwas zu unternehmen.

Tschinku im Gastland: Unheilvolle Begegnung

Ich begegnete ihm kurz vor seinem fünfundvierzigsten Geburtstag, während meines einwöchigen Aufenthaltes in Saarbrücken. Ich wollte, weit weg von meinem alltäglichen vorschriftsmäßigen Leben, versuchen mich wieder in die Stimmung und Umgebung der damaligen Studienzeit zu vertiefen. Er sah wie ein sechzigjähriger, mitteloser und familienloser Bauer aus, der seinen letzten Hund aus Mangel an Futter sterben sah: arm, hoffnungslos und jämmerlich gekleidet. Mit einer Zigarettenschachtel als Jonglierspielzeug. Er stand plötzlich vor mir, nachdem er seine altmodische dunkle Sonnenbrille von den Augen genommen hatte, damit er seinen eigenen Augen trauen konnte.

Als ich ihn sah, versuchte ich, ihm auszuweichen. Der Mann kam mir aber artig und freundlich entgegen. Er trug ein familiäres Lächeln, welches nur einer bekannten Person angeboten werden kann. Ich bemühte mich darum, sein kodifiziertes und fast provozierendes Grinsen nicht wahrzunehmen. Besser gesagt, mich vor dieser ungünstigen und lästigen Erscheinung und deren jämmerlichen Aufführung zu schämen. Ich hatte ihn nicht erkannt. Ich glaubte, ich hatte es mit einem Bettler zu tun und sagte mir ganz leise: „On aura tout vu!“. Es wäre in der Tat das erste Mal für mich, mit eigenen Augen einen schwarzen Straßenbettler in Deutschland zu sehen. Abgesehen davon, dass er keinen beängstigenden, hässlichen und schmutzigen Hund dabei hatte, sah er wie einer der Obdachlosen aus, die zu jener Zeit vor dem Saarbrücker Rathaus zu sehen waren.

Eigentlich fühlte ich mich weder unwohl, weil der Mann wie ein Almosenempfänger aussah, noch weil ich auch schwarz bin. Sondern vielmehr, weil ich ein schwarzer Minister war. Ich hatte sozusagen Gewissensbisse und fragte mich, was die Deutschen glauben würden. Noch einer der vielen hungernden Menschen, die in Afrika nichts zu essen bekommen und zu uns zum Betteln kommen. Aber ich verstand nicht, wieso ich dieses Schuldgefühl und dieses schlechte Gewissen hatte. Schließlich wusste ich gar nicht, aus welchem Land der Mann kam.

Tschinku im Gastland: Wer bin ich?

Je intensiver ich mich allerdings mit dieser Idee auseinandersetzte, desto unwohler fühlte ich mich. Blitzartig bekam ich ein Stück Klarheit in den entwürdigenden Gedanken, in den Schattenvorhang vor Augen. Eine mir nicht unbekannte Stimme, die ich dennoch nicht identifizieren konnte, flüsterte mir leise immer wieder in die Ohren: „Sie, Verbrecher! Sie, unverschämter Ausbeuter! Dies ist das Ergebnis Ihrer geschmacklosen Inkompetenz, Ihres Mangels an Patriotismus und Ihrer dreisten und frechen Machtgier! Das ist noch eines der Opfer Ihrer schlechten Politik!“.

Diese Worte landeten direkt in meinem Gedächtnis wie ein Elektroschock. Nach einer kurzen Weile konnte ich wieder klarsehen. Der Nebel war nicht mehr da. Die Gedächtnisverwirrung und die fremde Stimme waren auch verschwunden. Nun konnte ich sie erkennen. Es war die Stimme von Dossou, einem unserer strengsten und unsympathischsten Gewerkschafter. Seine Worte waren nicht mehr zu hören, aber das Gefühl meiner eigenen Nutzlosigkeit war geblieben.

Bibliografische Informationen

Größe 14,8 × 21 cm
Format

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